Teilzeitprinzessin Linette
Drag for me is … kinda like therapy.
Auch wenn es mein Name anders vermuten lässt, bin ich alles andere als royal aufgewachsen. In einem super kleinen, krass konservativen Dorf, frühzeitig Trennungskind und dazu noch nicht die größten finanziellen Mittel. Jedoch gab es dafür viel Liebe, Geborgenheit und Bestärkung von für mich starken, inspirierenden Frauenbildern. Allen voran vor allem meine Omi und meine mich alleinerziehende Mama.
Während meiner Ausbildung kam dann auch noch meine beste Freundin - meine Seelenverwandte Laura - in mein Leben, welche ebenfalls zu diesen tollen Vorbildern zählt.
Während meiner Ausbildung erschien auch RuPaul´s Drag Race langsam auf meiner Bildfläche. Anfänglich verwirrt von dem, was ich sah, war ich jedoch auch genauso fasziniert und wusste - DAS möchte ich auch machen.
Nach dem leider frühzeitigen Verlust meiner besten Freundin und dem bis dato Rumexperimentieren und “verkleiden”, wurde dann Drag DAS Medium, um mit diesem Verlust umzugehen.
Ich wollte Lauras Art - ihre Unerschütterlichkeit, ihre Willensstärke, ihren Gerechtigkeitssinn, ihre Güte und all die Liebe, die sie in sich trug und teilte, am Leben erhalten und bestenfalls ein Stück weit mit anderen teilen.
Schnell merkte ich, dass es nicht nur ihr Sein war, dem ich Tribut zollen wollte - sondern, dass ich all den starken Frauen Tribut zollen wollte (und immer noch will), die stets mich und mein Leben prägten und prägen.
Darüber hinaus half mir Drag im fortlaufenden Prozess auch mich, in meiner Identitätsfindung, zu unterstützen und zu begleiten. Auch wenn es für manche leider nicht vorstellbar ist - das Äußere fühlt sich für mehr Menschen, als man denkt - oft nicht passend zu dem, was man innerlich fühlt. So ist es auch bei mir der Fall.
Ich habe zwar biologisch männliche Merkmale - jedoch passen diese NICHT zu dem, was ich innerlich fühle. Drag hilft mir auf das selbstbewusst zuzugreifen, was gesellschaftlich als “typisch männlich” oder “typisch weiblich” deklariert ist und eben das in Drag (in Form von Optik, Performances und/oder Infotainment) nach außen zu tragen. Aber eben auch diese Freiheit und Bestärkung in meinen Alltag mitzunehmen. Unabhängig von biologischen oder optisch-charakteristischen Merkmalen möchte ich sowohl in Drag als auch out of Drag einfach als Mensch gesehen werden.
Und wenn wir einmal vom “nach außen tragen” sprechen - Drag bietet mir die Möglichkeit, meine Ideen aus dem Kopf aufs Papier zu bringen und bestenfalls dann auch an Linette umzusetzen. Von der der zündenden Ideen fallen dann gefühlt zig Dominosteine in Form von Gedanken in sämtliche Richtungen:
Welche Botschaft möchte ich vermitteln?
Welche Gefühle möchte ich transportieren?
Wie möchte ich mich dabei fühlen?
Drag ist für mich also der Prozess, Gefühle zu verarbeiten, optisch und performativ greifbar zu machen und die Aufmerksamkeit, welche man durch Drag bekommt, zu nutzen, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Drag ist für mich eine Art Therapie (Achtung: Drag ersetzt nicht ausgebildete Therapeut*innen oder Psycholog*innen!).
Eine Art Therapie, die mein Selbstbewusstsein stärkt und es mir so ermöglicht, auf Ungerechtigkeiten und Missstände aufmerksam zu machen.
Eine Art Therapie, die mir erlaubt, meine Gefühle und Gedanken zu verarbeiten.
Eine Art Therapie mir selbst zu erlauben zu sein, wer ich bin.