Athena Owls
We’re all born naked.
Ich habe mich sehr bitten lassen, diesen Text zu schreiben. Vielleicht, weil ich eine viel beschäftigte Frau bin, vielleicht, weil Schreiben ein mir nicht unbekanntes, aber vergleichsweise unerprobtes Medium ist, was mich unsicher macht – wahrscheinlich wegen des leichten Unwohlseins, das der Übertitel „Mein Leben in Drag“ in mir auslöst. Ein Großteil meines Lebens ist doch entschieden (mit Nachdruck und nicht ohne Anstrengung) nicht in Drag.
Wenn man den bedeutenden Philosoph:innen Judith Butler, Simone de Beauvoir und RuPaul glauben darf, ist jeder Ausdruck von Geschlecht inhärent performativ. Geschlecht im Allgemeinen ist nicht gegeben, sondern gemacht – und alles außer einem nackten Körper ist Drag.
Auf den ersten Blick fällt es mir schwer, mich mit auch nur einer dieser (zugegeben extrem vereinfachten) Blickwinkel zu identifizieren. Mein Geschlecht – Frau – fühlt sich für mich natürlich an, befreiend, meiner Seele entsprechend. Es ist genau diese Natürlichkeit, für die ich jahrelang kämpfte und auch heute noch kämpfen muss: im Schützengraben kauernd, gegen Hass, menschenfeindliche Bürokratie, vermeintlich wissende Augen, den Fakt, dass diese Welt einfach nicht für mich gemacht sein scheint – und meiner Verwirrung aufgrund dessen.
Im Kampf und in der Verwirrung liegt die Krux der Sache.
Wenn ihr, die Lesenden, erlaubt, würde ich sie gerne umreißen.
Als trans Frau bin ich in einer cis-heteronormativen Gesellschaft männlich sozialisiert worden, was bedeutet, dass mir von Kindesbeinen an suggeriert wurde, dass es nur zwei Geschlechter gibt, ich eines davon (Mann) bin – und diese zugeteilte Rolle zu erfüllen habe, indem ich beispielsweise aggressiv, körperlich kräftig und laut bin und Bier und Würstchen als Grundnahrungsmittel verstehe.
Diese Rollen konnte ich nicht erfüllen, was in meinem Umfeld sanktioniert wurde und eine Zeit voller Scham und Versteckspiel einleitete. Trotz dieses Versteckspiels wuchsen Tendenzen, die man gesellschaftlich weiblich definieren würde, in mir – was einen Bruch mit der männlichen Rolle unvermeidlich machte.
Befreit und aufgeregt ein Leben zu leben, das sich für mich natürlich und gut anfühlt, machte ich am Anfang meiner Transition eine unangenehme Entdeckung: Um von der breiten Gesellschaft als Frau gesehen zu werden, musste ich wieder Rollenbilder erfüllen. Diese passen mir deutlich besser – in Wahrheit genieße ich es sogar, einige von ihnen zu erfüllen.
Ich mag es, mich zu schminken und zu stylen, habe eine Affinität für Mode und einen Gestus, der allgemein als feminin gesehen wird. Dennoch werde ich allzu oft an die Grenzen meiner Rolle erinnert. Wenn ich zu laut bin, zu viel oder zu wenig Make-up trage, zu viel Raum einnehme, mein Gestus nicht nur feminin, sondern flamboyant ist, meine Stimme nicht hoch und weich ist, ich mich zu freizügig anziehe oder mich nicht klassisch feminin, sondern hyperfeminin gebe – merke ich, dass ich deutlich schlechter „passe“, d.h. von weniger Leuten als Frau gelesen werde.
Die Lösung scheint einfach: Ich weiß, dass Geschlechterrollen in einer patriarchalen Gesellschaft künstlich hergestellt wurden – mit dem expliziten Ziel, Frauen (cis oder trans) und andere weiblich gelesene Menschen zu unterdrücken. Da liegt die Idee, einfach „fuck it“ zu sagen, sie alle in den Wind zu schlagen und nur das zu tun, was ich will, nahe.
Aber ich bin (wie alle Menschen) ein soziales Wesen und will als Tochter, Schwester, Freundin, Kollegin, Passantin, Bürgerin – eben als Frau – nicht nur existieren, sondern auch gesehen werden. Und viel von dem, was sich für mich natürlich anfühlt, passt einfach in ein feminines Rollenbild. Die Anstrengung, gegen ein Maskulines aufzubegehren, war für mich deutlich größer, als dem Femininen zu entsprechen.
Mein authentischer Ausdruck ist also gesellschaftlich begrenzt – und entspricht gleichzeitig oft diesen Begrenzungen. Damit fühlt sich meine (relativ) neugewonnene Freiheit selten richtig frei an.
Wo findet man sie also, die viel besprochene Freiheit?
Vielleicht in einer Kunstform, in der erkannt wird, dass Geschlechterrollen künstlich sind.
Die sie nicht ernst nimmt, ihnen ihre Konsequenzen nimmt, sie von Einschränkung zu Spielball macht.
Vielleicht in Drag.
Drag ist die Antithese eines dichotomischen Geschlechtsverständnisses. Hier werden alle Rollen, alle Regeln vom Künstlichen in die Kunst überhöht – und werden so zu einem Feld der Möglichkeiten, das den partizipierenden Personen freie Wahl ermöglicht.
Paradoxerweise ist es gerade das Erkennen von Geschlechterrollen als künstlich, was authentischen Ausdruck ermöglicht.
Für mein suchendes Ich war es ein Geschenk des Himmels, eine Möglichkeit zu haben, mit den Rollen, die mir sonst aufgedrückt wurden, zu spielen – sie zu biegen und zu brechen, bis ich mich selbst sah. Und für mein jetziges Ich ist es ein Segen, auf meine Art feminin sein zu dürfen, in einem sicheren Raum, ohne Angst, dass diese Femininität infrage gestellt werden könnte.
Es ist eine Überzeugung von mir, dass jede Person mindestens einmal in ihrem Leben Drag machen sollte – wenn nicht für den tosenden Applaus einer Menge Gleichgesinnter, dann für die Möglichkeit, ein Theater aus allem, was uns über unser Geschlecht beigebracht wurde, zu machen – und vielleicht hinter den Kulissen auf sich selbst zu stoßen.
Irgendwie ist eben doch alles Drag.