Lili Alexander
Drag als Projektionsfläche
Drag als queere Kunstform ist immens politisch, aktuell wichtiger denn je und durch RuPaul’s Drag Race in den Pop-Mainstream vorgedrungen. Für mich ist Drag kreativer Ausdruck, er hilft mir, neue Perspektiven auf (meine) Probleme zu bekommen und selbstbewusster zu werden.
Aber Drag ist auch eine Projektionsfläche. Als cis-männliche Person, die sich hyperfeminisiert, setze ich mich immer wieder Übergriffigkeiten aus. Menschen fühlen sich eingeladen, mir nach dem Auftritt in die Haare zu fassen, mich an der Hüfte oder am Po zu berühren und mich „mal ganz fest zu drücken“. Gerne auch nach dem ein oder anderen Bier oder Wein.
Andere sind eingeschüchtert von der Präsenz der Drag Person und wissen nicht, wie sie ein Gespräch beginnen sollen. Sie empfinden großen Respekt und „könnten das nie“, „mit dem Makeup und der Aufmerksamkeit und so“.
Auf AFD-Plakaten werden uns Übergriffe oder Manipulation an Kindern unterstellt. Gleichzeitig sehen manche Veranstaltende uns als kostengünstige Unterhaltung, die für wenig Taschengeld ihr Publikum etwas begeistern sollen. Gagen von unter 50 EUR für 12 Stunden Arbeit und mehr waren und sind keine Seltenheit.
Drag etabliert sich erst langsam als eigene Kunstform mit eigener Profession, wenngleich sie seit fast 150 Jahren (oder schon immer?!) Teil queerer Communities ist. Es ist oft ein großer Spagat für mich, zwischen all diesen Zuschreibungen meine eigene Stimme zu finden. Und jedes Booking ist anders.
Von Jubelschreien bei der queeren Drag Show am Samstag bis zur Firmenfeier mit versteinerten Gesichtern am Dienstag ist alles dabei. Und ich mag das sehr! Vor allem, mit Drag über queere Themen ins Gespräch zu kommen und mit Humor und Witz ernste Themen an die Menschen zu bringen. Mit der Altenpflegerin über Tucking sprechen oder auf der Firmenfeier über die Diskriminierung queerer Menschen in Sachsen durch Rechte.
Aber es ist auch oft anstrengend, diese Wechsel. Oftmals fehlen Menschen noch Perspektiven, wie es ist, als Drag Artist ständig in neuen Räumen unterwegs zu sein. Hier wünsche ich mir mehr Sensibilität: Vom Türsteher, der mich halbnackt – in Unterwäsche und Korsage – und mit groben Worten aus der Toilette (aka Umkleide) schmeißen will, bis hin zum Backstage mit Vollverglasung mit Blick zum Treppenhaus, in dem das Publikum ein und aus geht.
Von unüberlegten Anfragen („Mach doch mal zwei Stunden Show und so mit verschiedenen Outfits und mit Technik.“) bis hin zu Veranstaltungen ohne Struktur (eine Performance im Winter am Nachmittag in einem Zeitslot von 2 Stunden und ohne Backstage).
Und es gibt auch die unzähligen, achtsamen Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte, die tolle und sichere Räume für queere Kunst schaffen (und auch noch fair bezahlen).
Drag hat noch einen weiten Weg vor sich, um sich als eigene und angesehene (und öffentlich geförderte?!) Kunstform zu etablieren. Dabei wünsche ich mir noch häufiger Verständnis und Achtsamkeit im Umgang mit den Bedürfnissen von meinen Kolleg:innen und mir.
Denn wer schon mal mit Makeup, Perücke, im Korsett auf Heels ’ne Stunde rumgelaufen ist, hat ’ne leise Ahnung, wie es sich in unserer Haut manchmal anfühlt.